Berichterstattung MDR vom 15.11.2023
Presseartikel vom 07.11.2023 in der Freien Presse
Werksleiterin Julia Schröder zeigt Andres Gutierrez, Israel Garuacho und Daniel Hernandez (von links) eine Tube an der Pharma-Produktionslinie. Das Produkt ist für Augensalbe bestimmt. Bild: Nicole Jähn
Julia Schröder hat in der Firma am Rand des Vogtlands viele unbesetzte Stellen. Nach zähem Suchen in der Region des Fachkräftemangels packt die junge Werksleiterin eine ungewöhnliche Idee an.
Die Koffer stehen unausgepackt in der Ecke. Erst später an diesem Tag werden Andres Gutierrez, Daniel Hernandez und Israel Garuacho sie in der möblierten Wohnung in Zeulenroda auspacken. Zuerst steht ein Firmenrundgang mit der Chefin an. Die jungen Männer aus Spanien sind „die Neuen“ beim Verpackungshersteller Linhardt. Der Betrieb ist der größte Hersteller von pharmazeutischen Aluminiumtuben in Europa. Einen Monat waren sie zur Einarbeitung im Stammhaus im bayerischen Viechtach, diese Woche fangen sie im Betrieb in Pausa an.
Für die jungen Spanier ist es der erste feste Job. Die Jugendarbeitslosigkeit in ihrem Heimatland ist seit Jahren hoch. Im September wies das Land mit zwölf Prozent die höchste Arbeitslosenquote im Euroraum aus. „Das hier ist eine große Chance“, sagt Israel Garuacho. Seit drei Monaten lernt der 28-Jährige aus Madrid für das Programm Deutsch. Was er bis jetzt an einem Kennenlernabend im Sommer vom Vogtland und Pausa gesehen hat, gefällt ihm gut. „Ich mag es, wenn es ruhig ist“, sagt er und lächelt. Er plant zu bleiben, will die Sprache lernen und sich eine Zukunft aufbauen. In Zeulenroda meldete er sich schon in einem Fitnessstudio an, das rund um die Uhr geöffnet ist. Denn bei Linhardt wird im Schichtbetrieb gearbeitet.
Linhardt stellt in Pausa vor allem Aluminiumtuben für die Pharmaindustrie her. Ein Teil der Verpackungen ist aber auch für die Kosmetikbranche bestimmt. Bild: Nicole Jähn
Jugendarbeitslosigkeit in Spanien trifft auf Fachkräftemangel im Vogtland
Mehr als eine Million Aluminiumtuben verlassen den Betrieb jeden Tag. Die Hälfte davon ist für den deutschen Markt bestimmt. Drei von vier Tuben werden einmal mit pharmazeutischen Cremes gefüllt sein – Augensalbe oder Mittel für Hautkrebspatienten. Werksleiterin Julia Schröder führt die drei Neuen durch den Betrieb. Sie zeigt ihnen eine Maschine, die Kanülen aus Kunststoff in die fertig gestanzten Tubenhülsen schießt. Know-how, das es nur am Standort Pausa gibt. „Die Auftragslage für den Pharmamarkt ist extrem gut“, sagt Julia Schröder. Der Betrieb baute Kapazitäten aus. Seit diesem Jahr laufen im Vogtland elf Produktionslinien. Zusätzlich wurde eine Konkurrenzfirma gekauft. „Schon jetzt sind wir bis Mitte nächsten Jahres ausgebucht“, sagt die Chefin. Die gute Auftragslage erhöhe aber den Druck, in Zeiten des Fachkräftemangels genügend Mitarbeitende zu finden.
Nun wagt der Betrieb einen großen Schritt. Bis Dezember fangen insgesamt 16 Spanier in der Firma an. Sie kommen aus Teneriffa, Granada, Madrid, Barcelona und anderen Regionen Spaniens ins Vogtland. „Ich habe alles versucht, um zuhause eine Arbeit zu finden“, sagt der 29 Jahre alte Daniel Hernandez, der zuletzt in Huesca im Norden des Landes lebte. Seit acht Jahren sei der junge Vater auf Jobsuche. Jetzt die Erleichterung. Schon im Januar will seine Ehefrau mit dem fünfjährigen Sohn nachkommen.
Werksleiterin Julia Schröder begrüßt Andres Gutierrez, Israel Garuacho und Daniel Hernandez (von links). Sie sind die ersten drei der neuen Mitarbeiter aus Spanien. Bild: Nicole Jähn
Über eine Agentur nahm die Firma Kontakt in den Süden auf. „Zuvor hatten wir intensiv hier in der Region gesucht“, sagt Julia Schröder und erinnert sich an viele Gespräche mit Funktionsträgern – mit mäßigem Erfolg. „Trotz aller Initiativen konnten wir in zwei Jahren nur drei neue Mitarbeiter gewinnen“, berichtet die Chefin. „Um den Generationswechsel zu gestalten, ist das einfach zu wenig.“ 25 Leute könnte sie einstellen. So viele offene Stellen gibt es beim Metallverarbeiter in Pausa. Die Erfahrungen mit Geflüchteten habe dann den Ausschlag zur Suche im Ausland gegeben. „Die Integration braucht Zeit, aber heute sind die Mitarbeiter aus Syrien, Pakistan und der Ukraine angesehene Kollegen im Team“, sagt die Chefin. „Das gibt uns den nötigen Mut.“
Jeder der „Neuen“, die als Produktionshelfer einsteigen, bekommt einen Paten. Die Bezahlung sei an den Metaller-Tarif angelehnt. Eine gemeinsame Frühstückspause soll fürs Wohlfühlklima im Familienbetrieb sorgen. Selbst um die erste Wohnung kümmerte sich Linhardt. Seit vier Jahren leitet Julia Schröder das Werk. Zuvor war die gebürtige Plauenerin aus Hamburg ins Vogtland zurückgekehrt. „Es ist großer Aufwand, den wir jetzt betreiben“, sagt die 34-Jährige. „Aber wir hoffen, mit diesem Schritt Mitarbeiter zu finden, die Jahrzehnte bei uns bleiben.“